Arbeitssuche in Zeiten von Corona. Privatisierte Bildung und der erkaufte «Fötzel»

Das Schweizer Bildungssystem wird gemeinhin für seine Transparenz gelobt: Dass man sich von der Polymechanikerin zur Ärztin, vom Logopäden zum Schulleiter hocharbeiten kann, ist lobenswert. Aber Achtung: Ausserhalb der staatlichen Bildung, nämlich dort, wo sie privatisiert und verwirtschaftlicht ist, lauert die Anti-Bildung: Die sogenannte «Weiterbildung» . Jede:r weiss, dass es bei dieser Art von Pseudo-Bildung um die berühmte Jagd nach dem «Fötzel» geht, dem Stück Diplom (letztlich: Papier), das einem den erwünschten Berufswechsel oder -Aufstieg bringt, entweder selbst gewählt oder vom Arbeitgeber aufgedonnert. Akademiker:innen wie Nicht-Akademiner:innen lassen (wenn sie Pech haben und keine Finanzierung bekommen) dabei einen Haufen Geld liegen, in der Hoffnung, dabei die Himmelsleiter gespickt mit «Fötzeln» zu besteigen, um dann eines Tages oben irgendwo anzukommen, in einer verheissungsvoller Zukunft einer schönen Berufung mit Geld in der Tasche.

Szenenwechsel: Ich bin gerade dabei, eine Weiterbildung zu absolvieren. Die ersten Dreiviertel des Kurses «Erwachsenenbildung» haben per Zoom stattgefunden. Im Schutz des Bildschirmes fiel noch gar nicht auf, dass nicht nur ich, sondern einfach alle angeödet sind. Nun findet der Kurs erstmals live statt: Es ist ein heisser Nachmittag und alle wären jetzt lieber draussen an der Sonne, als sich Grundwissen über Kommunikation anzuhören.

Der Kurs soll irgendwie locker wirken, wir sind alle per Du, alle «auf Augenhöhe», schliesslich ist das ein höchst freiwillig besuchter Kurs von lauter lernwilligen und verantwortungsbewussten Erwachsenen. Bei mir bewirkt diese amerikanisierte Masche aus der Wirtschaft rein gar nichts: Die Masche besagt, dass man als Firma eine Du-Kultur zum Kunden herstellt, damit es diesem ganz wohlig ums Herz wird, was schliesslich dazu führt, dass er sich ganz zu Hause fühlt und sein Geld bei besagter Firma liegen lässt. Keine Firma treibt das so auf die Spitze wie Starbucks: Für einen überteuerten und verwässerten «Kaffee» (der vorwiegend aus Milch und Zucker besteht) bekommt man einen persönlich signierten Becher. Es wird einem in die Augen geschaut, nach dem Vornamen gefragt und dann kommt der Vorname auf einen Pappbecher (der sich nicht mal recyceln lässt). Dieser leicht überschaubare Trick stellt wie gesagt eine emotionale Verbindung zur Firma her. Und: Sie lähmt auch die kritische Stimme in uns. Die emotionalisierte Du-Kultur als Werbetrick der Wirtschaft ist eine toxische. Am Ende flösst sie Schuldgefühle ein: Sie gibt durch kleine Gefälligkeiten vor, dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen, obwohl die unterschwellige Message lautet: Jetzt, wo du dich zu Hause fühlst, gibt’s nichts zu meckern. Und: Alle fühlen sich zu Hause, übrigens, und sind ganz narkotisiert vor lauter Glückshormonen. Also beklag dich nicht. Hier ist alles prima.

Der Mensch ist ein Herdentier: Schlimmstenfalls blöken alle dumm in der Schafherde vor sich her. Und so sehen auch die Auswertungen (natürlich alles elektronisch, warum nicht auch mal live?) von uns Teilnehmenden nach jedem einzelnen Kurstag aus, wie ein rosa Wolken pupsendes Einhorn: Auf einer Skala von 8 bis 10 wird von der ganzen Gruppe jeweils die Mindestnote 8 gegeben. Die Message ist angekommen: Du hast, resp. dir wurden 4’200.- bezahlt für den Kurs, du bist Kundin, und willst dein Geld durch böse Kommentare nicht verlieren. Und es gibt ja auch keinen Grund, böse zu werden, weil, wir machen es dir verdammt einfach: Auf Augenhöhe, durch lustige «Auflockerungsspiele» und einer sehr einfachen Prüfung, wo du dich sehr dumm anstellen musst, um durchzufallen – schliesslich hast du ja bezahlt, du bist Kundin, und die Kundin ist bekanntlich Königin. Fazit der Message: Du bezahlst für den «Fötzel», wir nehmen dein Geld und machen dir nicht allzu viele Probleme, aber du auch nicht uns.

Mit «Bildung» im eigentlich Sinn hat das, wie gesagt, nichts zu tun. Warum sind solche «Weiterbildungen», oder besser gesagt, das Diplom, das dabei herausspringt, so lebenslaufrelevant? Denn am Ende sagen sie überhaupt nichts über den geistigen Zustand, das Wissen und die Fachkompetenz der Teilnehmenden aus. Leider sind die «Unbildungen» Teil des so viel gelobten transparenten Schweizerischen Bildungssystems: Irgendwann hat man als Akademiker:in die Glasdecke mit seinem Diplom erreicht. Wissenstechnisch, zumindest, und genau das wird von der Wirtschaft gern vor die Nase gehalten. Die Wirtschaft führt dann nur allzu gern in die Praxis ein: Bezahl, und wir geben dir den «Fötzel», damit du aufsteigen kannst. Firmen, Betriebe und Vorgesetzte haben sich die «Fötzel-Kultur» zu eigen gemacht, weil sie keine Risiken eingehen möchten: Sie lesen lieber den Lebenslauf von Herrn Peter Funktionär, der schön brav seine Diplome abgehakt hat, und angeblich alle geforderten Fachkompetenzen mitbringt, als von Pippi Langstrumpf, die ein abenteuerliches Motivationsschreiben zu bieten hat und einen Lebenslauf, wo eine ganze Villa Kunterbunt reinpasst.

Vorgesetzte lesen lieber den Lebenslauf von Herrn Peter Funktionär, der schön brav seine Diplome abgehakt hat, und angeblich alle geforderten Fachkompetenzen mitbringt, als von Pippi Langstrumpf, die ein abenteuerliches Motivationsschreiben zu bieten hat und einen Lebenslauf, wo eine ganze Villa Kunterbunt reinpasst.

Und, ganz schlimm, vielleicht ist Pippi der Knaller im Team und bringt immer gute Laune, aber man müsste ein, zwei Tage in sie investieren, um ihr etwas beizubringen. Wirtschaftlich geht das natürlich gar nicht, denn: Zeit ist Geld.

Wirtschaftlich gesehen geht es nicht um Persönlichkeit, es geht um Berechenbarkeit und letztlich darum, dass in der Heidiland-Demokratie die monetarisierte Diktatur herrscht. Einziger Weg, um daraus auszubrechen: Menschen, die Menschen mögen. Ihnen eine Chance geben. Sie fördern. Leider passiert das meist «nur» durch Vitamin B, aber darin steckt auch eine Chance. Heisst: Netzwerk ausbauen, Bekanntschaften knüpfen und darauf vertrauen, dass irgendjemand da draussen an dich glaubt. Habe ich selbst ausprobiert: Hat funktioniert, denn ohne das Netzwerk bestehend aus drei Leuten gäbe es meine Website und diesen Blog nicht.

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