Die Geschichte eines Instrumentalisierten

Die Hippie-Generation der 60er und 70er entdeckte die revolutionäre, antiautoritäre Sprengkraft des Evangeliums und seiner radikalen Anhänger wieder: allen voran Franziskus von Assisi. Im Schatten des Vietnamkrieges, erscheint es nur logisch, dass der Regisseur Franco Zeffirelli sich vor 50 Jahren der Geschichte des Heiligen bediente, der anfangs 13. Jh. traumatisiert von den Kreuzzügen zurückkehrte und von da an eine neue Vision von Frieden und Menschlichkeit lebte.

Franziskus von Assisi wächst in der wunderschönen Toskana auf: Der Vater streng und besessen von seinem Händlersreichtum, die Mutter verhätschelt ihn. Nach seiner Rückkehr von den Kreuzzügen ist nichts mehr so, wie es war: Franziskus von Assisi zieht als in Armut lebender Wanderprediger ins nahegelegene San Damiano, wo er eine zerstörte Kirche aufbaut. Auf dem Weg dahin zieht er adlige Männer an, die ebenfalls das System sprengen wollen: Die nichts mehr mit ihrer Erziehung anfangen können, die zwar eine Menge Reichtum, aber keine Ideale beschert hat, für die es sich zu leben (und auch zu sterben) lohnt. Die Analogie zur anti-bürgerlichen Babyboomer-Generation ist offensichtlich. In Francescos Hippie-Kirche wird eine andere Art von Messe gefeiert: Inmitten von Naturstein und Blumen wird andächtig gesessen und von Frieden gesungen.

Die Staatskirche kann sich mit so viel Freiheit nur schwer abfinden: Sie setzt Francescos Kirche in Brand und tötet den Kirchenwächter. «Wie kann man nur so hassen?», fragt der Heilige verzweifelt und zieht mit seinen Freunden nach Rom, wo er sich eine Antwort des Papstes erhofft: Wenn er tatsächlich etwas falsch gemacht hat, so der Sanftmütige, wird ihn der Heilige Vater zurechtweisen.

In Rom angekommen, tut Francesco das, was er als herumziehender Prediger immer getan hat: Das Evangelium predigen:

«Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. (…) Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.»

Matthäus 6,9–33

Die Kritik trifft natürlich die prunkvolle Kleidung und Ausstattung des Papstes und seiner Entourage. Papst Innozenz lässt sich schliesslich mitreissen vom Idealismus dieses jungen Mannes und erteilt ihm seinen Segen, weiter zu predigen. Ein kluger Schachzug, aus dem Mund einer seiner Gefolgsleute gesprochen: «Das ist der Mann, der uns die Armen zurück in die Kirche bringen wird.»

Die Instrumentalisierung des sanftmütigen Francesco ist vollends gelungen; im wahren Glauben, er könne von Innen und mit einem aufrechten Lebenswandel die Herzen der Menschen in dieser verkrusteten Institution ändern, ist er ihren Strukturen zum Opfer gefallen. Er wurde dem Inventar einverleibt, ohne, dass sich tatsächlich viel getan hätte: Papst Franziskus I bedient sich seines Namens, um, wie Franco Zeffirelli in weiser Vorausschau geahnt hat, die sogenannten Armen und einfachen Leute anzusprechen, in der Hoffnung, sich dadurch besonders menschennah zu geben.

Für mich ist Franziskus von Assisi ein wahrer Reformator; ein Reformator der Herzen. Ein Mensch, der nach seinen Idealen lebte, ohne dabei seine Seele und seinen Glauben an Gott zu verlieren. Die Botschaft: Manchmal muss man sich aus dem Weg ziehen, seinen eigenen Weg gehen, damit etwas Neues entsteht. Franco Zeffirelli würdigt diesen grossen Mann, indem er ihn vom kitschig-legendarischen Charakter befreit (der «Tierliebende», der mit den Tieren spricht), sondern ihn als stillen Revoluzzer porträtiert, karg an eigenen Worten, weil er den Glauben an ihren Inhalt verloren hat («es gab mal eine Zeit, da habe ich [Francesco] an Worte geglaubt»), dafür umso reicher an Taten.

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