Letzthin meinte eine ehemalige Arbeitskollegin: «Du bist noch so jung, und weisst schon so viel über Theologie!»

Theologin: Das scheint nach wie vor exotisch zu sein. Ein Theologe (ja, männlich): Das ist in den Köpfen der meisten wohl immer noch ein alter studierter Herr mit grauem Haupt und einer Riesenbibliothek. Der Herr Pfarrer, wie man früher so schön gesagt hat, hoffentlich heute nicht mehr.

Theologin- und Theologensein, Pfarrerin- und Pfarrersein: Das hat nichts «Heiligeres» an sich, als andere Studiengänge oder «Berufe». «Beruf»; das Wort hat Martin Luther vor 500 Jahren kreiert. Es stammt von «Berufung [von Gott]» und meint, dass jede und jeder dort ist, wo Gott ihn oder sie berufen hat, und das kann überall sein (es gibt ein Warnzeichen: Leider wurde dieser Gedanke auch dazu missbraucht, Armut und Sklaverei zu rechtfertigen).

Vor drei Jahren durfte ich eine Rede halten an einer Hochzeit in Italien. Skandal, ich war also noch jünger, als jetzt. Die Hochzeitsgäste waren schockiert: Zwei Herren, ein jüngerer und ein älterer, meinten gar, sie hätten jetzt einen älteren Herrn erwartet, der die Hochzeits-Rede hält. Also: Genauer gesagt hatten sie einen Priester in einer weissen Kutte erwartet (sie waren katholisch: Bei den Reformierten ist es nicht anders, dort wird einfach ein alter weisser Herr im schwarzen Talar erwartet).

Ich war eine Frau, Studentin, hielt eine Hochzeitsrede… was sich so revolutionäre anhört, fühlte sich an, als wäre ich ein unsichtbarer Teil des Hochzeitsinventars gewesen.

Auch wenn Hierarchien äusserlich fehlen; in den Köpfen sind sie nach wie vor da: Männer wie Frauen respektieren weiterhin (alte, weisse) Männer.

Und doch: Es war mir lieber, als Teil des Hochzeitsinventars wahrgenommen zu werden, statt als religiöse Autorität.

Es war mir lieber, als Teil des Hochzeitsinventars wahrgenommen zu werden, statt als religiöse Autorität.

Auch wenn ich als reformierte Frau in der Schweiz seit 50 Jahren die Chance habe, als religiöse Autorität respektiert zu werden (daher, Pfarrerin zu werden), möchte ich dies nicht. Weil: Ich möchte für mich selbst respektiert werden, als Mensch, nicht aufgrund einer Rolle oder Institution. Auch Frauen tragen das Macht-Gen in sich und nur, weil Mann und Frau eine längst überfällige Hierarchie aufrecht erhalten dürfen, ist es nicht besser geworden. Die Lösung wäre nicht, dass auch Frauen ins Pfarramt dürfen, sondern dass niemand ins Pfarramt darf. Niemand sollte in religiösen und spirituellen Dingen ein «Beamte» oder eine «Beamtin» sein: Weil, das ist man (zumindest in der Schweiz), wenn man als Pfarrerin oder Pfarrer arbeitet. Die Kirche ist nichts anderes als der verlängerte Arm des Sozialstaats. Wenn es um karitative Projekte geht, stimme ich dem Beamtensystem der Kirche voll zu, obwohl ich da manchmal Zweifel habe (sei es auf katholischer, sei es auf reformierter Seite), ob das Geld in dieser chaotischen und nicht-professionell organisierten Institution wirklich dort ankommt, wo es ankommen soll.

Wenn es um religiöse und spirituelle Angelegenheiten geht: Weg mit Hierarchien. Mein Vorschlag: Das Pfarramt abschaffen und nur Berufe innerhalb der Kirche behalten, die dem Sozialsystem zuträglich sind (bspw. Sozialdiakoninnen und -Diakone, Sozialarbeitende und Seelsorgende). Wir können uns selbst einander predigen, indem wir miteinander reden. Das allgemeine Expertentum in religiösen und spirituellen Dingen wächst; jede und jeder in der westlichen Welt hat Zugang zu Internet und Literatur und kann sich Seelennahrung und Wissen holen, wo er oder sie es gerade braucht.

Letzthin sass ich in einer spannenden Runde. Da waren (Namen geändert):

Ich als evangelisch-reformierte Theologin,

Lena als Stylistin, Reiki- und Senioren-Yoga-Lehrerin,

Tiziano als Tarotkarten-Leger und Personal Coach,

Krishna (der eigentlich Stefan heisst), Pfleger und Yoga-Lehrer

Ursula, Ernährungsberaterin und angehende Schamanin.

Wir alle hatten Unmengen an Wissen und Visiten-Karten zu verteilen. Wir alle haben uns respektiert und bereichert in unserer Andersartigkeit.

Das nenne ich wahres Priestertum und Anzeichen einer schönen, neuen Welt ohne Grenzen und Barrieren im Kopf.

Und vor allem: Ohne Hierarchien.

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