Teil II

Ich war bei der Frage stehen geblieben, wo sie denn waren, meine Vorbilder, die freien Theolog:innen, als ich vor einem halben Jahr drauf und daran war, mich selbstständig zu machen.

Die Frage ist: Warum hatte ich überhaupt das Gefühl, eines Vorbildes zu bedürfen? Wohl, weil ich mich nicht «abartig» fühlen wollte. Und weil ich jemanden mit demselben Studium zu brauchen glaubte, der oder die denselben Weg vorangegangen war. Der oder die mir Mut machen könnte auf meinem Weg zu mir selbst. Und wo ich schon bei der «Abartigkeit» bin: Was ist das Problem daran, es zu sein? Das einzige «Problem» ist, dass es Menschen geben könnte, die mich «abartig» finden, weil das so eine Seltenheit ist, dieser «Beruf», oder besser gesagt, dieser Aussteiger-Beruf.

Warum ist es so schwer, nicht davon los zu kommen, was die sogenannt «anderen» von mir denken? Dieses vorwiegend imaginäre Publikum im Kopf und in der Magengegend, das Schwindel und Scham bereitet? Das mich jahrelang dazu verleitet hat, mich zurückzuziehen, anstatt mich und meine Ideen in den Vordergrund zu drängen, da, wo sie hingehören, mitten auf die Bühne des Lebens?

Als ich am Arbeiten war, kam es mir in den Sinn. Die besten Ideen kommen, wenn ich in Bewegung bin: Ich hatte ja ein Vorbild, und zwar den berühmtesten Aussteiger und Verachteten der Menschheitsgeschichte, zumindest noch zu Zeiten, als er auf dieser Erde weilte: Jesus von Nazareth. Der mit 30 eine Midlife-Crisis durchmachte und loskam von seinem Zimmermann-Beruf, den er ja bloss ergriffen hatte, weil sein Vater das schon gemacht hatte (damals war das so und blieb es bis zu den 60ern). Der loszog mit ein Paar Freundinnen und Freunden durch die Pampa rund um einen See (von Galiläa), den man damals «Meer» nannte, weil der Horizont so klein und die Angst so gross war, generell vor allem, was zu weit weg, anders und neu war. Der seinen Freundinnen und Freunden sagte, sie sollten losziehen, mit nichts als ihren Kleidern an, zweites Hemd und Geld mitnehmen verboten. Und dann sollten diese Freundinnen und Freunde, die alle ihren Beruf als Fischer, Hirten, Handwerker und Hausfrauen wegen «free hugs», Liebe, Frieden, Brüder- und Schwesterlichkeit auf Erden aufgegeben hatten, losziehen und an fremde Haustüren klopfen, um von diesen grandiosen Ideen zu erzählen und Essen zu schmarotzen.

Und gab dieser Aussteiger, der mit seinem inneren Feuer so viele ansteckte, jemals auf, zu predigen? Hörte er jemals auf, auf die Kinder, Lilien und Vögel zu zeigen, um an ihrer angeblichen «Schwachheit» und «Kleinheit» die Grösse und Schönheit Gottes zu demonstrieren? Er blieb stets seinen Träumen, Idealen und Werten treu: Und vor ihm war niemand, der es ihm gleich getan hatte. Seine Einsamkeit führte ihn ans Kreuz.

Zu Lebzeiten war er von den Anders- und «Abartigen» umgeben: Von Aussätzigen, Prostituierten und anders- bis wenig-religiösen. Es waren nie «seine Leute», obwohl es den Anschein machte, er sei ein «Schriftgelehrter», was so viel «Theologe» bedeutet. Er war Theologe, ohne dieses Fach jemals studiert zu haben, weil er seine Theologie im Herzen trug.

Wer ist mir Freund? Wer Freundin? Es sind Mutter, Vater, Verwandte, Künstler:innen (darunter ein freier Theologe), meine Frisörin, Freunde und Bekannte. Alle haben irgendetwas mit Theologie am Hut. Jede und jeder auf seine Art und Weise. Doch jede und jeder ist so eigen, dass ich niemanden als Vorbild auserwählen könnte.

Denn jeder kommt allein zur Welt, geht allein seinen Weg und geht allein von dannen. Jeder in Begleitung und Unterstützung anderer, aber Vorbild, das muss sich jeder selbst sein.

Und zum Notfall, falls man gerade nicht an sich selbst glaubt, schaut man auf Jesus von Nazareth, der erste, der einen krummen Weg abseits aller anderen gegangen ist.

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