Quo vadis, freie Theologin? Nach vier Monaten beruflicher Selbstständigkeit gebe ich eine Kurz-Anleitung: «How to Selbstständigkeit. Der Weg dahin.»
1. Meide die Gerontokrat:innen!
Selbstständigkeit – damit verbindet man mittelalterliche bis ältere Menschen, welche die berühmte «Berufserfahrung» mitbringen (die U30ern wie mir natürlich fehlt). Sie haben bereits eine solide berufliche Laufbahn absolviert, als Lehrer, Pfarrerinnen, oder dergleichen Angestellte mit beamtenähnlicher Funktion. Mit 40 setzen sich besagte dann ab, absolvieren Weiterbildungen und werden dann Job-Coaches oder Systemische Beraterinnen. Selbstständigkeit, so wie hier beschrieben, erscheint als Gipfel der Selbstverwirklichung, als Belohnung, die auf hart erarbeitete öde Beamtenjahre folgt. Machen sich also die ersten Anzeichen von Altersdemenz, Lebensmüdigkeit, Grau- und Kahlköpfigkeit, kurz: das totale Burnout sichtbar, darf man sich getrost mit seinem vielen Geld vom alten Beruf absetzen, in Weiterbildungen investieren und endlich Spass haben. Klingt nicht gerade attraktiv. Ich nenne dieses System «die Fischleiter hochspringen». Nur: Habe ich wirklich Lust darauf? Ich persönlich finde, man sollte sich selbstständig machen, wenn man noch jung, voller Lebenslust, Vitalität und Ideen strotzt. Nur leider ist das womöglich die Phase, wo man ein mickriges Netzwerk und kein Geld hat. Na und, sage ich mir. Allen «Wenns und Abers» zum Trotz habe ich mich selbstständig gemacht.
Und: Ich habe nur ganz wenigen Leuten davon erzählt. Die Gerontokrat*innen (Auf Griechisch Geron, der Alte, der Greis; vgl. «Für mein Kind nur das Beste», Guggenbühl 2018) habe ich dabei vermieden. I.R. sind das Menschen (das hat nichts mit dem biologischen Alter zu tun), die nur auf Sicherheit bedacht sind und von jeglicher kreativen und/ oder «andersartigen» Laufbahn abraten.
2. Mach Werbung!
Social Media habe ich wieder gelöscht. Alles. Facebook, Linked-In, Instagram, Twitter… sogar Whatsapp, nachdem ich über Social Media als gesetzlose Plattformen gelesen habe, wo unkontrolliert Hetz- und Hassrede grassiert, ohne dass diese (wirklich) geahndet wird (vgl. «Der verkaufte Feminismus», Hausbichler 2021). Ganz konsequent los geworden bin ich Meta aka Facebook leider trotzdem nicht, da ich immer noch Google und Youtube benutze. Social Media sind aber auch gute Werbeplattformen, es sei denn, man beherrscht die Technik: Was bei mir überhaupt nicht der Fall ist. Mein Punkt ist: Mach Werbung mit Deinen Stärken. Ich bin extrem gut im eins-zu-eins-Verkauf. Nach einem Monat bin ich immer noch Freiberuflerin, jedoch in Festanstellung als wissenschaftliche und literarische Mitarbeiterin: Meinen Chef habe ich an einer Geburtstagsfeier von meinen Fähigkeiten überzeugt. Was dabei nicht fehlen darf: Visitenkarte mit Name und Kontaktdaten. Eine schöne Visitenkarte kommt extrem professionell rüber und ist Teil des Verkaufs: Gesprächspartner*innen sehen so, wie man sich nach aussen gibt. Und in Zeiten der Überdigitalisierung schätzen es manche durchaus, wenn Ästhetik auch haptisch sein kann.
Wichtig ist, dass man beim Werbungmachen nicht schüchtern oder ausschliessend sein darf – es gilt, den Radius zu erhöhen und möglichst viele Menschen anzusprechen. Gedanken wie: «Ulf hat eh kein Interesse» oder «Angie mag (m)ich nicht» haben da keinen Platz. Am Ende ist Ulf womöglich super interessiert und Angie eine gute Geschäftspartnerin. Dieser Prozess ist grösstenteils demotivierend: Man sucht dort, wo man zu finden hofft, ohne dass Türen aufgehen. Er ist aber auch überraschend und schonungslos ehrlich: Man findet heraus, wer das mag und braucht, was man tut. Und das sind oft nicht diejenigen, die man schon im Kopf hat, sondern ganz andere. Man lernt, wenn noch nicht gekonnt, Diplomatie: Wenn es um Fähigkeiten, Begabungen und Talente geht, gilt die Devise, dass jede*r etwas kann. Zusammenarbeit gelingt mit (so ziemlich) allen, wenn man sich auf das Positive fokussiert und Marotten – die jede*r von uns hat!– nicht zu sehr auf die Goldwaage legt.
3. Baue Dein Netzwerk aus!
Punkt drei ist eng mit zwei Verbunden: Schlägt man die Werbetrommel, erweitert man hoffentlich so sein Netzwerk, worunter sich Auftraggeber und Geschäftspartnerinnen befinden. Besonders wenn man gewohnte Laufbahnen verlässt, sind persönliche Kontakte gefragt: Menschen, die an Dich glauben, Dich fördern, Dir ihre Zeit und (finanziellen) Ressourcen schenken. Ich persönlich bin nicht die grosse Netzwerkerin. Mein berufliches Netz habe ich daher mit Hilfe von Menschen ausgebaut, die geborene Netzwerkerinnen (ausschliesslich Frauen, ja!) sind.
4. Sei selbstständig und steh dazu!
Menschen, die selbstständig arbeiten, passen nicht ins Schema X. Oftmals sind das Eigenbrötler, die nach ihrem eigenen Rhythmus arbeiten: Sich selbst die Zeit einteilen, selbst entscheiden, wann sie am Arbeitsplatz erscheinen und wieder nach Hause gehen, selbst bestimmen, wann sie auf Klo gehen, «Znüni» nehmen, usw. Menschen, die selbständig arbeiten, sind in der Wirtschaft jedoch unbeliebt: Da gilt es, Menschen in endlos lange Sitzungen und normierte Tagesabläufe zu pressen, um eine «corporate identity» zu bilden; eigenbrötlerische Exoten und Freigeister fühlen sich dadurch kontrolliert (zu Recht). Menschen, die gern und am Besten selbständig arbeiten, sind hoch kreative, sensible und intuitive Menschen, die viel Freiraum brauchen und Kontrolle hassen: Sie sind wissbegierig und lernen schnell Neues dazu, sie bringen sich und ihre Ideen ein und handeln schnell und zielgerichtet. Durch ihr selbstgewähltes Motto: «Ich könnte, liesse man mich nur!», ist es jedoch in der gerontokratisch-kapitalistisch ausgerichteten Arbeitswelt für diese Hochbegabten schwer, Fuss zu fassen, da sie sich schlecht unterordnen können und wollen. Das Wirtschaftssystem, angeführt von der verbeamteten und vergrauten geldgierigen und narzisstischen Gerontokratie (hinter deren Macht sich in Wahrheit Verlustängste bergen: Angst, die Kontrolle über den Geldtopf zu verlieren und am Ende – Angst vor dem Tod. Angst, von einer jüngeren Generation abgelöst zu werden und im Nichts zu verschwinden) schikaniert Menschen. In ausnahmslos jedem Stelleninserat findet sich das Zauberwort «Teamfähigkeit», was nichts anderes als «Normativität» und Unterordnung unter den vermeintlichen «Gemeinschaftskonsens» heisst, was eine Farce ist: Am Ende entscheiden immer noch diejenigen an der Spitze, ob sie jemanden einstellen, fördern oder loswerden wollen.
Wenn man gern selbstständig arbeitet, sollte man dazu stehen und diese Fähigkeit als unique selling point verkaufen. Und, wenn es mit dem eigenen Business vollzeitlich nicht klappt, einen Arbeitgebenden finden, der das wirklich zu schätzen weiss: Der einem auf Augenhöhe begegnet und froh ist, jemanden angestellt zu haben, der für sich allein arbeitet und selbstständig denkt. Als Selbstständige fest angestellt? Ein Widerspruch? Finde ich ganz und gar nicht – Selbstständigkeit beginnt im Kopf und ist eine umfassende Art und Weise, zu denken, fühlen und handeln, beruflich wie privat.