Erkenntnisse aus dem Literaturarchiv. Teil I: im Schatten Jungs

Der Luzerner Arzt und Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang war ein Schüler C.G. Jungs und eine Zeit lang Hermann Hesses Psychoanalytiker. Der Arzt ging, wie so viele, als Anhängsel in die Geschichte ein: als Schüler Jungs und Psychoanalytiker Hesses. Hier wird er als eigenständige und komplexe Persönlichkeit gewürdigt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden hier lediglich Briefkorrespondenzen Langs aus dem Jahr 1922/23 analysiert.

Der Luzerner Arzt und Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang praktizierte in den 1920er-Jahren eine Zeit lang im luzernischen St. Urban, bevor es ihn ins Berner Oberland, nach Meiringen, in eine Privatklinik zog. Am 07. April 1923 schreibt er an einen Kollegen:

«Auch mit den Ärzten und Pfarrern der Umgebung habe ich schon einen netten Kontakt. Ich fühle mich hier in der protestantischen Umgebung schon viel, viel gemütlicher als in der klerikalen Luft von St. Urban.«

Lang ist hochgebildet und vielseitig interessiert, wie viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler seiner Zeit. Einen Monat später schreibt er an den befreundeten Pfarrer Nüesch aus St. Urban, dass er sich mit den «Anstaltspfarrern» Marti und Ochsenbein für die Lektüre von Texten auf Griechisch trifft.

Langs psychoanalytisches Forschungsinteresse, das er in seiner Freizeit verfolgt, gilt vorwiegend der Astrologie. Am 06. Mai 1923 schreibt er an einen weiteren Kollegen:

«Ich habe jetzt vor, die Horoskope von 200 Normalen mit 200 Geisteskranken zu vergleichen und statistisch zu verarbeiten und zeigen zu können, das hier wirkliche, durch keinen Zufall zu erklärende Unterschiede in den Gestirnstellungen vorkommen.»

Ein wohl mehr als kurioses Forschungsinteresse für einen Arzt. Wenn man aber bedenkt, dass sich zu Langs Zeit eine gewisse Müdigkeit bezüglich des rationalen, aufgeklärten Weltbilds eingestellt hat, verständlich. Denn der aufgeklärte Geist konnte nicht verhindern, dass der Erste Weltkrieg hinter Lang, und der Zweite schon bald vor ihm liegt. Neue Ideen müssen her, das Alte jedoch auch mit dem Neuen verbunden werden. So ist es für ihn kein Widerspruch, einen befreundeten Pfarrer nach Geburtsdaten für seine astrologische Studie anzufragen. Das Christentum hat für ihn als politische Institution an Glaubwürdigkeit verloren, jedoch nicht dessen Inhalt, intellektuelle Kraft oder religiöses Erleben.

Sein Hader mit der Institution Kirche rührt besonders daher, dass Lang sich Unverstanden fühlt. Denn sein Wechsel von Luzern nach Meiringen verläuft nicht reibungslos. So schreibt er im Januar 1923 an C.G. Jung:

«Ich hatte die ganze Schwesternschar gegen mich, die in mir den Feind sahen, der für die Kranken eintrat, verklagten mich bei der Regierung, die mich als Feind der Kirche betrachtet und darum hasst. So bin ich froh, mit Mühe und Not eine neue Stelle gefunden zu haben.»

Die Psychoanalyse entsprang unter anderem der medizinischen Forschung C.G. Jungs. Jung hatte sich im Burghölzli in Zürich als einer der ersten mit psychisch Kranken befasst, ohne diesen die Diagnose Dementia praecox, daher «vorzeitige Verblödung» zu verabreichen. In Langs Brief an Jung sieht man, dass die Psychoanalyse in ihren Anfängen einen schweren Stand zu verteidigen hatte: War die ganzheitliche Beschäftigung mit seelischen, emotionalen und geistigen Aspekten des Menschen noch Medizin und somit Wissenschaft? So gab es auch Gegner wider die «Jungsche Psychoanalyse», wie wir von Lang erfahren. Namentlich ein gewisser «Katz», der eine rein atheistische Psychoanalyse betrieb. Und auch die Kirche, welche der neuen Disziplin skeptisch gegenüberstand, integrierten Jung und seine Schüler doch verschiedenste Spiritualitäten und Weltanschauungen in ihre Arbeit.

Mit seinem Interesse für die Auswertung von Geburtshoroskopen blieb Lang allein. Am 30. März 1923, Karfreitag, schreibt Lang an die Psychoanalytikerin Maria Moltzer:

«Es ist nur schade, dass ich da so allein stehe und ich niemand näher kenne, der sich  wirklich für diese Probleme interessiert. Hier eine Schule zu bilden mit gleichstrebenden Menschen, das wäre etwas. Ob sich das wohl noch verwirklichen lässt? Ich würde wohl kaum in den Fehler Jungs verfallen, der die andern ersticken würde.» 

Und hier wären wir beim Hauptproblem Langs angelangt: Sein geringes Selbstbewusstsein, gespeist von Vergleich. Seine Freundin Moltzer sieht das Problem und schreibt in einem undatierten Brief:

«Überwinde den Schatten Jungs und nehme Deine eigne Gaben, die den des Jungs ähneln, an.»

Nicht einfach, sich in den Fussstapfen Jungs zu wissen. Auch nicht einfach, seine eigene Ideen an Mann und Frau zu bringen. Zu gross ist die Strahl-Kraft seines Lehrers, der in seinem Büro im selbstskizzierten Haus mit Garten in Küsnacht alle illustren Persönlichkeiten seiner Zeit anzieht: Albert Einstein, die Schriftsteller-Familien Mann und Hesse sowie die Malerin Sophie Taeuber-Arp zählten unter anderem zu Emma und C.G. Jungs Gästen.

Das C.G. Jung-Haus und -Museum in Küsnacht wird von einer Stiftung unterhalten.
Es wird noch von Nachfahren Jungs bewohnt und ist daher nur am Donnerstagnachmittag geöffnet. Besonders empfehlenswert: Die kurzweiligen Führungen, in denen man in Leben und Schaffen Jungs und seiner Frau eintaucht.

Das Genie Jungs ist Fluch und Segen zugleich. Um sich von seinem Lehrer und Vorbild zu emanzipieren, imitiert Lang das Charisma, das Jung wohl ausgestrahlt haben muss. An Allerseelen 1922 schreibt er an Maria Moltzer:

«Heute habe ich mich (…) bei einer Diskussion entdeckt, wie ich ihn nachahme [d.h. C. G. Jung ], resp. mich mit ihm unbewusst identifizierte. Dabei konnte ich aber viel besser reden, als sonst, war schlagfertiger und auch geschickter im Formulieren meiner Gedanken. Soll ich nun (…) diese Identifikation aufgeben oder soll ich sie eine Zeit lang leben (…)?»

Beim Lesen wird man den Eindruck nicht los, dass Lang verzweifelt ist. Einerseits bedient er sich des Selbstbewusstseins seines Vorbilds. Auf der anderen Seite ist jedoch klar, dass es sich eben um dasjenige eines anderen handelt. Emanzipation sieht anders aus. Allein und unverstanden, so fühlt Lang sich, auch wenn er hartnäckig seine Interessen verfolgt, die jedoch wenig Anklang finden. Zudem plagen ihn finanzielle Probleme, die ihn z.B. daran hindern, eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift für psychoanalytische Texte zu gründen. Probleme, die Jung unter anderem dank seiner glücklichen Heirat der Industriellen-Tochter und -Erbin Emma Rauschenbach nicht kennt.

Weiter schreibt er an seine Freundin Moltzer:

«Ich habe auch die Phantasie gehabt, Jung zu schreiben und ihn anzufragen, ob er nicht doch wieder ein Periodikum für wissenschaftliche Arbeiten und Diskussionen schaffen könnte. Eine solche Zeitschrift fehlt mir sehr. Denn es ist nicht angenehm, seine Arbeiten in einer psychologischen Umgebung publizieren zu müssen, wo sie fremd und unverstanden bleiben. (…) Besser wäre es allerdings, wenn wir miteinander eine solche Zeitschrift, die nur unregelmässig zu erscheinen brauchte, gründen könnten. (…) Ich glaube doch, dass wir in der Welt ein Echo dafür finden würden. Du, ich, vielleicht Katz, Kesser, Ricklin (…). Aber es ist schon traurig mit der früher so stolzen Zürcher Schule, dass sie der Welt gar nichts mehr bietet. Wenn Jung nichts mehr zu sagen hat, warum müssen denn wir schweigen? (…)»

Die holländische Psychoanalytikerin Maria Moltzer (6. Januar 1874 –6. Dezember 1944

Meine bisherigen Recherchen haben ergeben, dass Lang nichts dergleichen ins Leben gerufen hat. Schwere Schicksalsschläge plagen ihn und reizen sein «zartes Empfindungsorgan» (Bemerkung Moltzers) gänzlich aus. Der Tod seiner Mutter 1923. Die Erkrankung seiner Tochter Maly an Tuberkulose am Tag ihrer Beerdigung. Die Erkrankung seiner Frau Karly an Tuberkulose. Die Trauer um die Mutter, Sorgen um Frau und Kind betrüben den Geist Langs. Sie verunmöglichen es ihm mitunter, über sich selbst hinauszuwachsen.

Sonderbare Interessen. Kein Netzwerk von Gleichgesinnten, oder zumindest das Gefühl, nicht über ein solches zu verfügen. Geringes Selbstwertgefühl. Finanzielle und familiäre Sorgen. Dies sind alles Kriterien, weshalb Josef Bernhard Langs Geschichte nicht von äusserem Erfolg gekennzeichnet ist. Als ob er das wüsste und sogar in Kauf nimmt, schreibt er am 10. Mai 1923 an seine Schwester Martha:

«Aber schliesslich kommt es letzten Endes sub spezie aeternitatis [d.h. im Angesicht der Ewigkeit] nur darauf an, dass wir unseres Lebens Kreis so vollenden, wie es uns als Aufgabe gestellt wurde, nicht der äussere Erfolg entscheidet, sondern das Innere. Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber Schaden litte an seiner Seele. An dieses Wort halte ich mich, wenn auch die ganze europäische Welt nur nach dem äussern Erfolg den Menschen beurteilt.»

Mt 16,26: Denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert? Oder was kann der Mensch als Lösegeld für sein Leben geben? – Jesus Christus

Die Bibel, Schlachter-Übersetzung (2000)

Die zitierten Passagen aus dem Briefwechsel Langs stammen allesamt aus dem Schweizerischen Literaturarchiv in Bern. Das Wissen über C.G. Jungs Leben wurde während einer Führung im C.G. Jung-Haus in Küsnacht notiert.

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