Erkenntnisse aus dem Literaturarchiv. Teil II: im Schatten Hesses

Der Luzerner Arzt und Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang war ein Schüler C.G. Jungs und eine Zeit lang Hermann Hesses Psychoanalytiker. Der Arzt ging, wie so viele, als Anhängsel in die Geschichte ein: als Schüler Jungs und Psychoanalytiker Hesses. Hier wird er als eigenständige und komplexe Persönlichkeit gewürdigt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden hier Tagebuchauszüge Hesses aus dem Jahr 1920 und Briefe von Maria Moltzer (1922), Hesse und Lang (1923) und Hesse (1935) analysiert.

Hesse wäre nicht Hesse ohne die Psychonalyse. Von 1916 bis 1944 ist der Briefwechsel zwischen ihm und dem Arzt und Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang dokumentiert (NZZ, 15. Juni 2006: «Die dunkle und wilde Seite der Seele»). Mit zunehmendem Alter distanziert der Schriftsteller sich jedoch von der Psychoanalyse. Im April 1935 schreibt er, 68-jährig:

«Im späteren Gespräch [mit Chr. Schrempf, evangelischer Theologe und Philosoph] verteidigte ich den pathologischen Menschen, und sagte, die Hysterie sei nicht bloss Krankheit, sondern oft auch Rettung, sie helfe vielen das sonst unerträgliche Leben dennoch leben.»

Weiter schreibt Hesse:

«Sein [Schrempfs] Nichternstnehmen der Kunst tritt im Gespräch (…) hervor, er sieht in der Kunst weniger eine Sprache als eine Ausflucht und Illusion, eine der Formen des Ausbiegens vor dem Furchtbaren.»

Für Hesse ist Kunst eine eigenständige Form des Selbstausdrucks. Woher dieser Ausdruck rührt, ob bspw. durch Krankheit, Ausflucht und Illusion entstanden, ist für den Künstler Nebensache. Hesse will die Botschaft seines Werks vermitteln, und keine Analyse seiner Psyche, die letztlich vom Werk selbst ablenkt. Und: Warum eine Krankheit wie «Hysterie» therapieren, wenn sie das Leben erträglicher macht, und wenn möglich gerade erst dazu verhilft, produktiv zu sein? War doch Hesse selbst ständig körperlich krank und in Kur, so bspw. auch im Juni 1923 in Baden. Hat ihn das daran gehindert, zu schreiben? Und: Sollte man seine Texte im Licht dessen Krankheiten lesen? Eben genau das will der Schriftsteller verhindern. Neuere Ansätze der Literaturwissenschaft sprechen vom «Tod des Autors/ der Autorin», um den Text als eigenständiges Gegenüber zu würdigen.

Kunst ist eine eigenständige Form des Selbstausdrucks

Nichtsdestotrotz bleibt Hesse von der Psychonalayse beeinflusst. In einem Tagebuch aus dem Jahr 1920 schreibt er, dass er «durch Freud und Jung angeregt» sei:

«Wir sollen nämlich, wenigstens für ein einziges Mal, alle Werturteile weglassen und uns selber ansehen, so, wie wir sind, oder wie die Äusserungen des Unbewussten uns zeigen, ohne Moral, ohne Edelmut, ohne all den schönen Schein, in unsren nackten Trieben und Wünschen, unsren Ängsten und Beschwerden. Und erst von hier aus, von diesem Nullpunkt aus, sollen wir dann wieder versuchen fürs praktische Leben Werttafeln aufzustellen.»

Hesse anerkennt den Wert einer gründlichen Innenschau für die eigene authentische Lebensführung. Frappant: Zwar nennt der Tagebuchschreiber Freud und Jung, jedoch mit keinem einzigen Wort Josef Bernhard Lang.

Kann sein, dass Lang für Hesse erst dann bedeutend wird, als dieser sich mitten in der Scheidung von seiner ersten Frau Mia Hesse (mit vollem Namen Maria Hesse-Bernoulli, Basler Fotografin) befindet. Am 08. März 1923 schreibt der Schriftsteller dem Arzt:

«Lieber Freund Lang

(…) Ich arbeite wieder an meiner Scheidung, glaube nun mit meiner Frau einig zu sein und die Sache durchführen zu können, und brauche dazu von Ihnen ein paar Zeilen. (…) Es handelt sich hauptsächlich um die Bestätigung, dass Eheschwierigkeiten da waren und dass meinen Freunden bekannt ist, dass ich seit fast vier Jahren von meiner Frau getrennt lebe.»

Für Lang indes bleibt der Charme Hesses, wie bei seinem Lehrer Jung, ungebrochen. Während er bei Jung das Genie des Psychoanalytikers beneidet, beneidet er bei Hesse dasjenige des Künstlers und Bonvivants.

Am 12. März 1923 schreibt Lang an Hesse. Er ist ganz begeistert von der Kurtisane Kamala, die den literarischen Siddharta in Hesses Roman Siddharta in die Erotik einweiht. Er fragt Hesse, ob Kamala eine «fleischliche Doppelgängerin» hätte. Und weiter: «Ich habe noch kein Buch gelesen, das mir so viel reine Freude bereitet hat.» Gegen seinen zu hohen Blutdruck möchte er sich am liebsten «eine richtige Kamalakur» verschreiben. Er bedauert: «Dazu werde ich bedenklich dick.» Langs «orgiastische Seite» ist offenbar vernachlässigt. Seit einem halben Jahr nicht mehr Feiern gegangen. Wenig Kontakt mit Gleichgesinnten. Allein, und zum Trost wohlgenährt, arbeitet der Arzt wie ein Tier («travailler comme une bête!»). Lichtblicke: Der kommende Besuch zweier deutscher Astrologen, die auf der Durchreise in die Türkei sind. Er hat wieder angefangen zu malen, was er seit November 1922 auf Eis gelegt hat. Er erkundigt sich auch nach Hesses neuer Partnerin und späteren Frau Ruth Wenger. Lang hatte die Basler Konzertsängerin und Malerin im Tessin kennengelernt, in Montagnola, wohin es Hesse seit 1919 verschlagen hatte. Von beiden Herren hofiert, verfällt die junge Frau dem 20 Jahre älteren Hesse. Lang kann nicht loslassen. Immer wieder erkundigt er sich in seinen Briefen an Hesse nach Ruth. Er erfährt von Hesse, dass ihr Vater krank sei und hofft, dass es sie nicht zu fest mitnähme. Denn: «(…) ich bin eben zu sentimental.»

Playboy der Literatur. Das wusste wohl auch Andy Warhol, als er 1983 den Schriftsteller zu einer «Ikone der Popkultur» verewigte. Hermann Hesse war dreimal verheiratet. Dazu noch mit intelligenten Frauen: 19 Jahre mit der Basler Fotografin Maria Hesse-Bernoulli. Die zweite Ehe mit der 20 Jahre jüngeren Basler Konzertsängerin und Malerin Ruth Wenger hielt drei Jahre. Die dritte Ehe mit der 18 Jahre jüngeren Kunsthistorikerin Ninon Dolbin, geboren in Czernowitz, heutige West-Ukraine, hielt von 1931 bis zu Hesses Tod 1962.

Zu sentimental, zu weniger der Player? Am 24. Juni 1923 schreibt der Arzt an Hesse, dass er sich «mehr Frauenbekanntschaften» wünsche. In den letzten Jahren hätte er asketisch gelebt, wegen des «Fiaskos mit Ruth». Er bedankt sich bei Hesse «für seine guten Lehren im Verkehr mit Frauen» und nennt ihn einen «erfahrenen Lehrer in diesen Dingen».

In ihrem Brief vom 11. Mai 1922 hat seine gute Freundin und Psychoanalytiker Maria Moltzer das Problem Langs erfasst:

«Man muss den Glauben und die Liebe zu seinen eigenen Werten sich noch erwerben und ich finde immer, dass Du das zu wenig tust. Ich bin überzeugt, Du wärest glücklicher, wenn Du so weit kommen würdest, denn dann hast Du die eigne Welt immer mit Dir und bist weniger abhängig von Andren. Ich habe Dir schon einmal gesagt, dass ich den Eindruck habe, Du gäbest mir und meiner Arbeit eine Liebe, die eigentlich Dir selber und Deiner Arbeit zukäme.»

Während Lang auf die anderen schaut, auf Jung, Hesse und Moltzer, sowie Ruth nachtrauert, verliert er sich selbst.

Mangelnder Mut mag es gewesen sein, der ihn nicht zu mehr Erfolg geführt hat. Das Gefühl, in der «Irrenanstalt», in der Privatklinik in Meiringen, interniert zu sein, wie er Hesse weiter am 24. Juni 1923 schreibt.

Lang ist eine Mischung aus Schmetterling mit gebrochenen Flügeln und Praliné mit flüssigem Kern. Am 12. Juni 1923 schreibt er an Moltzer:

«Etwas eigenartig berührte es mich, als Du zweimal von ,meiner Güte› schriebst. Und das deswegen, weil man mir bei [Dr.] Bircher diese Eigenschaft immer vorgehalten und als Schwäche angekreidet hat. Und dann stand daneben auch Unmännlichkeit. Ich bin lange immer böse geworden, wenn man mir von meiner Güte sprach.»

Offensichtlich keine erfolgsversprechende Kombination.

Es gibt einen Wikipedia-Eintrag über:

Christoph Schrempf. C. G. Jung. Hermann Hesse. Maria Hesse-Bernoulli. Maria Moltzer. Ruth Wenger.

Aber keinen über Josef Bernhard Lang.

Die zitierten Passagen stammen allesamt aus dem Schweizerischen Literaturarchiv in Bern. Wer sich für den NZZ-Artikel interessiert und über kein Konto verfügt, darf mich gern anschreiben.

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