«Krieg ist Frieden»

Keiner hat es besser verstanden, Dystopien (= das Gegenteil von Utopien) zu schreiben, als George Orwell. Berühmtheit erlangte er durch seine beiden Bestseller Animal Farm (Farm der Tiere) 1945 und Nineteen Eighty-Four (1984) 1948. Beide Werke sind 2021 neu verlegt worden.

Soeben habe ich Nineteen Eighty-Four (1984) fertiggelesen. In einer Welt, wo die Angst vor Pandemie und Tod im Nacken sitzt, macht der verkehrte Slogan von Orwells alles bestimmender «Partei» Sinn:

«KRIEG IST FRIEDE

FREIHEIT IST KNECHTSCHAFT

UNWISSEN IST STÄRKE«

Wie in unserer Welt herrscht in derjenigen Orwells (aufgeteilt durch drei Megastaaten Ozeanien, Eurasien und Ostasien) andauernd Krieg. Das darunter liegende Motiv, das Orwell ausmacht: Wohlstand. Da der materielle Wohlstand seit den 20ern aufgrund technischer Erfindungen kontinuierlich zunimmt, sollte die Menschheit theoretisch reicher sein. Einigen wenigen passt das nicht. Ihre Lösung: Sie vernichten strategisch Wohlstand, der eigentlich allen zusteht, durch Krieg, und behalten den Rest für sich. Orwells drei Megastaaten «bekriegen» sich, im Wissen, dass sie sich nie gegenseitig besiegen können, weil dies auch gar nicht nötig ist. In Wahrheit kooperieren sie gar miteinander, da es völlig ausreicht, den Weltkuchen in drei Teile aufzuteilen.

Auch derzeit herrscht in unseren Breitengraden Krieg, wenn auch in subtiler Form. Gewinner sind dabei die Pharma- und Maskenindustrie sowie die Politik, welche in Zeiten einer Krise den status quo aufrecht erhält. Durch Corona hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert; psychische Krankheiten, Weltarmut und -Hungersnot haben zugenommen. Wichtige Themen wie Umwelt, Flüchtlingskrise und Gentrifizierung (erhöhte Mietpreise und Vertreibung von Menschen, die sich die Miete nicht leisten können) werden nahezu ausgeblendet.

«Krieg ist Frieden» in dem Sinn, dass die beiden Begriffe austauschbar werden; wenn man nichts anderes (mehr) kennt, als einen Notstand, wird er zur Normalität und somit zu «Frieden». Wenn dann auch noch von Medien und Politikern vorgegeben wird, der derzeitige Kriegszustand hätte das «Schlimmste» verhindert, wägt man sich ebenfalls im Scheinfrieden.

1956 schrieb der walisische Mathematiker, Atomwaffengegner und Literaturnobelpreisträger Betrand Russell als Nachtrag zu Orwells 1984:

«Die freie Rede wurde stets mit der Begründung verfochten, eine freie Debatte verhelfe dem besseren Argument zum Sieg. Dieser Glaube geht unter dem Einfluss der Angst verloren. Die Folge ist, dass es zum einen die Wahrheit und zum anderen ‹die offizielle Wahrheit› gibt.»

Nachtrag zur deutschen Neuübersetzung 2021, S. 418

Der Schlüssel zur Freiheit – und zu 1984 – sind Gedanken- und Redefreiheit. Und Mut. Auch und gerade in der jetzigen Zeit ist geboten, einen kritischen Geist zu bewahren und nach einer objektiven Wahrheitsfindung zu streben.

2 thoughts on “Nineteen Eighty-Four: Teil I.

  1. Da steckt der Haken: Freiheit (Reden, Exponieren, Debattieren, Fordern) verlangt nach Mut. Wer will diesen Aufwand betreiben? Sicherheit ist doch viel bequemer, vor allem wenn sie systematisch ist, d.h. von der Wiege bis zum Grab gegeben. Die Angst setzt genau da ein, sobald Sicherheiten (für Viele ganz simpel = Wohlstand) angegriffen wird. Im Umkehrschluss heisst das «Wer Angst hat, will mehr Sicherheit» (René Rhinow, ehemaliger Präsident SRK, auch ein Freigeist)… und weniger Freiheit bzw. Entscheidungsaufwand. Vergessen geht, dass unsere Sicherheiten keine Selbstverständlichkeiten, sondern Errungenschaften von fordernden Menschen sind, die für die Befreiung von alten Strukturen und gegen Privilegien für Wenige, für Rechte der Einzelnen und von Gruppen/Klassen gekämpft haben. Stimm- und Wahlrecht, Arbeitsschutz, Frauenrechte, Bildung, Sozialabsicherung, Gleichheit, Umwelt. Für Wenige eine Selbstverständlichkeit. Die Verwegenen in unserer Wohlstandsgesellschaft, die sich einsetzen, für uns alle kämpfen in einer globalisierten Welt sind die Heldinnen und Helden von morgen, wie die Geschichte und unser Wohlstand in Sicherheit zeigen.

    1. Vielen Dank für diese wertvolle Ergänzung!

      Ich bin jetzt gerade am ,Schöne neue Welt‘ von Aldous Huxley am Lesen. Wie in 1984 ist auch dort der Beginn der Diktatur der Angriff der freien Gedanken, Reden und Taten.

      Du hast Recht — Vergessen wirkt narkotisierend und man wiegt sich in Freiheit und Sicherheit, ohne dafür kämpfen zu müssen.

      Was wäre Dein Gegenvorschlag?

Schreiben Sie einen Kommentar



Blog abonnieren

Loading