Menschen. Geschichten. Berufung.

Das berühmteste Comeback erlebten die Tarotkarten wohl im Film House of Gucci (erschienen letztes Jahr in den Schweizer Kinos): Patrizia Gucci-Reggiani (Lady Gaga) ist mit dem Gucci-Erben der zweiten Generation, Maurizio Gucci (Adam Driver) verheiratet. Der Film basiert auf echten Gegebenheiten, die Ehe des Paars mündet in den Mord Maurizio Guccis durch Patrizia, die durch die angekündigte Scheidung ihren Status und Besitz bedroht sieht. Eklatant: Ihre Komplizin ist Pina Auriemma (Penélope Cruz), ihre persönliche Tarotkarten-Legerin. Während des Films wird klar, dass Pina – wie viele aus dieser Branche – Patrizia die Karten lediglich so legt, wie diese das wünscht. Durch die angekündigte Scheidung hat es sich ausgelegt mit den Karten. Bleibt nichts anderes übrig, als selbst Hand anzulegen. Der drastische Schritt: Pina wird schliesslich zu Patrizias Komplizin im Auftrags-Mord an Maurizio Gucci.

Pina Auriemma (Penélope Cruz) legt Patrizia Gucci-Reggiani (Lady Gaga) die Karten.

House of Gucci

Über den Film unterhalte ich mich mit Anselmo Maestrani. Der Tessiner legt seit über zehn Jahren professionell Tarotkarten. Entgegen vieler Profiteure, will er seinen Kund:innen auf keinen Fall nach dem Mund die Karten legen. Oder sie gar manipulieren, indem er ihnen sagt, was in ihrem Leben eintreffen wird. Stichwort: Divination, daher, Vorhersage der Zukunft. Wohl ein Grund, weshalb die Kirche im 12. Jh., als die Karten bei Mönchen in Rheinfelden und Marseille aufkamen, diese für Teufelswerk erklärte. Denn in der Bibel steht unter anderem:

«Denn diese Völker, deren Land du einnehmen wirst, hören auf Zeichendeuter und Wahrsager; dir aber hat der HERR, dein Gott, so etwas verwehrt.»

Die Bibel, Deuteronomium 18,14, Schlachter-Übersetzung (2000)

Die umgangssprachlich genannten «Zigeuner», die zu dieser Zeit von Persien, Armenien und dem Byzantinischen Reich nach Europa einwanderten, hätten die Karten vor der Zerstörung bewahrt, erzählt Maestrani. Bei den «Zigeunern» hat er sich angeschaut, wie das mit der «Divination» so geht: «Wenn du die Vergangenheit und die Gegenwart einer Person kennst und davon ausgehst, dass diese dieselbe bleibt, kannst du ganz einfach auf deren Zukunft schliessen». Eine andere Form der «Divination» sei auch diejenige der selbsterfüllenden Prophezeiung: Der Kartenleger sage seiner Klientin etwas voraus. Diese würde dermassen daran glauben, dass es sich dann auch bewahrheite.

Divination sei nicht das Ziel von Maestrani: «Ich will, dass meine Klient:innen die Karten so legen und deuten, dass sie dabei ihre eigene Geschichte schreiben.» Die Karten würden so zur Momentaufnahme des Lebens der Klient:innen. Inspiriert ist er durch die Art und Weise, wie der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung die Karten verstanden hat: Als Fenster zur Landschaft des eigenen Lebens, das man ändern könne. Jung war insbesondere an den Karten der Grossen Arkana interessiert: Karten wie «die Mutter» oder «die Herrscherin», die er seiner Archentypen-Lehre zuordnete.

Ursprünglich kommt Maestrani aus dem HR und hat verschiedenste Weiterbildungen im Bereich Coaching gemacht. Das Interesse am Menschen ist ihm inhärent. So arbeitete er unter anderem für sieben Jahre an einer Hotel-Rezeption: «Der Job war schlecht bezahlt. Es hat mir aber Spass gemacht, mit vielen Menschen in Berührung zu kommen und mich in mehreren Sprachen zu unterhalten.» Momentan arbeitet er wieder Teilzeit im HR einer gemeinnützigen Organisation. Nebenbei legt er seinen Klient:innen eins zu eins die Karten. Oder einmal im Monat an seinem Salon Tarot in gemütlicher Runde bei sich zu Hause in Zürich. Ca. fünf bis zehn Personen erscheinen jeweils, neue kommen häufig durch Mund-zu-Mund-Propaganda hinzu. Ursprünglich seien seine Salon Tarots gratis gewesen: «Ich war in Paris. Der Filmregisseur Alejandro Jodorowsky hat dort in Bars kostenlos die Karten gelegt. Die Bars waren voll. Natürlich, er war eine Berühmtheit, und dadurch hat er sicher Privatkund:innen gewonnen.» Heute verlangt Maestrani CHF 30.- für zwei bis drei Stunden Kartenlegen in der Gruppe. «Eine Klientin kam mal von St. Gallen zu mir nach Hause und meinte: ‹Was, du machst das gratis? Das ist doch wertvoll.› Das hat mir die Augen geöffnet.» Themen bei seinen Klient:innen und an den Salon Tarots seien die berühmten Top Drei: Liebe und (familiäre) Beziehungen, Arbeit und Gesundheit. Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen und Spiritualitäten kämen dabei zusammen: «Klar, das gibt manchmal Reibungen. Aber es geht darum, den anderen als Bereicherung wahrzunehmen und sich für neue Ideen zu öffnen, auch wenn man natürlich bei seiner eigenen Meinung bleiben darf.»

Mehr Informationen zu Anselmo Maestrani finden sich auf peoplecare.ch

In «Menschen. Geschichten. Berufung.» porträtiere ich meine Blog-Abonnent:innen und ihre Leidenschaft.

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