WG-Besichtigungen können echt ätzend sein. Man begegnet einem Haufen wildfremder Menschen. Diese Beobachtungen können wiederum echt witzig sein. May I present: die Landschaftsgärtnerin.

Disclaimer: Dieser Text dient lediglich zu Unterhaltungszwecken. Er entspricht allein meiner Wahrnehmung, die rein gar nichts mit der Realität zu tun hat. Vieles ist überspitzt. Und soll niemanden im echten Leben diffamieren. Deshalb sind Namen und einige Details abgeändert.

Als der Ethiker die WG-Besichtigung im Wohnzimmer beendet, begrüsst die Landschaftsgärtnerin mich mit einem warmen Hallo. Sie bemerkt gleich, dass meine violette Kette und mein ebenfalls violetter Pulli zusammenpassen und ist Fan meiner grünen Cordhose. Als ich lauthals bemerke, dass der Ethiker Ende Dreissig viel älter aussieht, als sie, obwohl sie Ende vierzig ist, meint sie: «Sie gefällt mir.»

Ehrlichkeit ist für sie das A und O. Und so hält sie mir auch einen ausführlichen Vortrag darüber. Wie oberflächlich und falsch diese Welt sei. Und dass sie deshalb als Landschaftsgärtnerin bei der Stadt Zürich arbeitet. Zusammen mit den Sozis. Zum ersten Mal werde sie an ihrem Arbeitsplatz gefragt, wie es ihr gehe. Und zum ersten Mal kümmere es ihre Cheffin. Gleich zu Beginn ihrer Anstellung hätte sie sich eine Auszeit nehmen wollen. Ihre Cheffin hätte gemeint: «Die Arbeit wartet auf Dich, bis Du zurückkommst.» An einem anderen Ort könne sie mehr verdienen. Aber sie hätte sich für das Leben entschieden. Während der Ethiker und ich einige Menschen aus dem Umkreis der Uni Zürich kennen, kennen die Landschaftsgärtnerin und ich beide einen Mitarbeiter für Sicherheit, Intervention und Prävention der Stadt Zürich (sip), und auch ganz zufällig arbeiten die beiden für dieselbe Arbeitgeberin.

Die Landschaftsgärtnerin ist ganz begeistert. Und meint, dass, wenn sie einen schlechten Tag hätte, denke: «Hey, scheissegal, der sip-Mensch ist ja auch da.» Gerade beneide ich die Landschaftsgärtnerin. So ein Team zu haben ist Gold wert. Und auch der Ethiker scheint das Golden Ticket gewonnen zu haben bei der Arbeit, wenn er von seinen Feierabendbierchen mit Kolleg:innen erzählt. Ich bin da gerade etwas sehr solitär unterwegs und muss jeweils schauen, dass ich nicht durchdrehe, so ganz allein. Und auf WG-, resp. Wohnungs-Suche. Wobei: Dann gelingt es mir wieder, das Leben als Spiel aufzufassen, das ich gern spiele. Ein bisschen herumziehen hier und da. Ein bisschen neue Leute bei WG-Besichtigungen kennenlernen, da ich mich ja kategorisch weigere, ein Dating-App herunterzuladen.

Die Landschaftsgärtnerin macht Notizen über uns drei Bewerbende, zwei Männer und mich. In einem kleinen, dunkelblauen Notizbüchlein. Da steht: Valeria Sogne, Theologin. Sie hätte mich einladen wollen, weil sie das spannend fände. Einige in der WG würden an Gott glauben, andere nicht. Dabei sieht sie herausfordernd den Ethiker an, der ihr gegenüber sitzt. Was ich so gern mache in meiner Freizeit, fragt mich die Landschaftsgärtnerin. Singen. Ins Theater, Kino, Museum gehen. Alles Dinge, die ich eigentlich nur sporadisch mache. Weil die meiste Zeit hänge ich leider Gottes viel zu viel am Handy rum und bemitleide mich selbst, wenn ich mein Leben mit demjenigen auf Social Media vergleiche. Wahnsinnig intellektuell klingen meine Hobbies, und das sollen sie ja auch, schliesslich bin ich eingeladen worden, gerade weil – und nicht obwohl – ich Theologin bin.

Schliesslich bin ich eingeladen worden, gerade weil – und nicht obwohl – ich Theologin bin.

Weil man denkt, ich sei ein intellektueller Mensch, mit dem man intellektuelle Gespräche bis tief in die Nacht führen kann. Und so ein Mensch hat nun mal intellektuelle Hobbies zu haben. So viel zu meiner Selbst-Vermarktung. Ich reagiere auf die Erwartungen anderer. So habe ich bis jetzt jeden Job bekommen. Auch wenn er gar nicht richtig zu mir gepasst hat. Einfach nur, weil meine Vorgesetzten das Gefühl bekamen, ich würde richtig gut zu ihnen passen.

Aber bei der Ethiker-Landschaftsgärtnerin-WG ist es anders. Ich passe wirklich hierher und betone dieses Mal einfach meine intellektuelle Seite ein klein bisschen mehr, als sonst. Ein bisschen an der Wirklichkeit herumschrauben, nennt sich das. Nicht weiter schlimm. Einmal eingezogen, merken dann alle, dass ich in Wahrheit einfach nur Youtube-süchtig bin.

Einmal eingezogen, merken dann alle, dass ich in Wahrheit einfach nur Youtube-süchtig bin.

Ob ich denn an Gott glauben würde. Ich bejahe. Der Ethiker steigt gleich ein: Wie ich mir das denn mit dem guten Gott und dem Leiden auf der Welt erklären würde. Ich wende ein, man müsse doch eigentlich bei der Schlange im Garten Eden anfange, dann steigt die Landschaftsgärtnerin ins Gespräch ein, und dann habe ich den Faden verloren. So viel zu intellektuellen Gesprächen.

Viel lieber beobachte ich die beiden. Wie er versucht, ihr die Welt zu erklären. Wie sie das Ganze von einer viel praktischeren Seite aus betrachtet. Und Religion mit ihren Eltern und Grosseltern in Verbindung bringt. Und dem guten Religionsunterricht. Und einem besseren Menschsein.

Als ich mich von den beiden verabschiede, frage ich mich, wer wohl das Rennen macht von uns Dreien. Die Theologin, der Brasilianer oder der in meinen Augen nicht besonders interessante L.

Ob die beiden wohl lieber jemand Intellektuelles haben wollen. Oder jemand Bodenständigeres.

Ich frage mich, was wohl der Ethiker möchte. Ich bilde mir ein, dass er gern mit mir zusammen wohnen würde. Um mit mir zu diskutieren. Respektive, er würde reden, ich würde dann an einem Punkt gedanklich aussteigen. Oder ich würde ihn beobachten, wie er gerade dabei ist, der Landschaftsgärtnerin einen Vortrag zu halten, während sie sich mit dem «echten Leben» dagegen wehrt.

Ich frage mich, was die Landschaftsgärtnerin möchte. Und stelle mir vor, dass auch sie gern reden möchte mit mir. Aber eigentlich redet auch sie viel zu gern, um ein echtes Gespräch zu führen.

Ich frage mich, ob das nicht immer so ist im Leben: Während man redet, hört man eigentlich nur sich selbst zu.

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